Dynamische Fluchtweglenkung als Kompensationsmaßnahme
Brandschutzanforderungen auch in Sonderfällen erfüllen
Im Brandfall lauert die größte Gefahr im Rauch, der sich schnell im Gebäude ausbreiten kann. Er steigt nach oben, sammelt sich an der Decke und macht eine (Sicherheits-) Beleuchtung und Fluchtwegbeschilderung unwirksam. In solchen Fällen ermöglicht ausschließlich eine bodennahe Beleuchtung und Beschilderung eine Orientierung. Ein dynamisches Fluchtwegleitsystem kann beides leisten.
Dennoch ist eine optische dynamische Fluchtweglenkung grundsätzlich lediglich eine Ergänzung zu einer klassischen Not- und Sicherheitsbeleuchtung und kann diese nicht erstzen. Eine Sicherheitsbeleuchtung, die an eine selbsttätig einsetzende Spannungsquelle für Sicherheitszwecke angeschlossen ist, sorgt bei einem Spannungsausfall für die Beleuchtung von bestimmten Bereichen (Fluchtwege, Versammlungsräume etc.) in einer definierten Beleuchtungsstärke. Zusätzlich ist sie für die Be- oder Hinterleuchtung von Rettungszeichen und Richtungsangaben zuständig, die einen Fluchtweg beschildern. Diese Beschilderung kann jedoch nicht auf eine Gefahr mit Änderung der Richtungsanzeige reagieren. Im Gegenteil: Sie kann in die falsche Richtung weisen, nämlich in den Gefahrenbereich hinein.
In solchen Fällen hilft die dynamische Fluchtweglenkung. Die Ansteuerung erfolgt durch eine Brandmeldeanlage. Rettungszeichenleuchten mit variabler Richtungsanzeige sperren optisch die betroffenen Bereiche und zeigen alternative Fluchtrichtungen an. Für Personen innerhalb eines verrauchten Bereichs bieten bodennahe Leuchten mit Richtungsanzeige die notwendige Beleuchtung und Orientierungshilfe, um den betroffenen Bereich auf dem kürzesten Wege zu verlassen.
Anwendungsbereiche dynamischer Fluchtwegleitsysteme
Die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) legen fest, in welchen Fällen ein dynamisches Fluchtwegleitsystem (dynamisches Sicherheitsleitsystem) einzusetzen ist. Dies ist der Fall, wenn auf Grund der örtlichen oder betrieblichen Bedingungen eine erhöhte Gefährdung vorliegt – beispielsweise in großen zusammenhängenden oder mehrgeschossigen Gebäudekomplexen, bei hohem Anteil ortsunkundiger Personen oder einem hohen Anteil an Personen mit eingeschränkter Mobilität. Dabei kann ein Sicherheitsleitsystem notwendig sein, das auf eine Gefährdung reagiert und die günstigste Fluchtrichtung anzeigt (Auszug ASR A2.3 von August 2007). Des Weiteren kann ein dynamisches Fluchtwegleitsystem bei Abweichungen von der Bauordnung als Kompensationsmaßnahme eingesetzt werden.
Dynamische Fluchtweglenkung als Kompensationsmaßnahme
Eine dynamische Fluchtweglenkung kann bei Neubauten, Gebäudesanierungen oder auch in denkmalgeschützten Bauwerken bei Abweichungen von der Bauordnung als Kompensationsmaßnahme eingesetzt werden.
Besonders bei der Sanierung von historischen Gebäuden sind baurechtliche Brandschutzanforderungen teilweise nur schwer oder gar nicht umsetzbar. Zur Erhaltung der Einzigartigkeit historischer Gebäude müssen Lösungen gefunden werden, die sowohl mit den heutigen Brandschutzanforderungen als auch mit dem Denkmalschutz vereinbar sind. Häufig müssen für den Spagat zwischen Vorschriften und Denkmalschutz-Ansprüchen Kompromisse eingegangen und Kompensationsmaßnahmen gefunden werden, die das „Schutzziel der Personenselbstrettung“ erreichen müssen.
Auch bei Neubauten, baulichen Anlagen besonderer Art oder Nutzung (Sonderbau), Sanierungen und Nutzungsänderungen sind Bauherren, Architekten und auch Brandschutzfachplaner durch baurechtliche Brandschutzanforderungen häufig in ihrer Kreativität eingeschränkt. Architektonische Belange, wie Transparenz, Funktionalität und Ästhetik, sollen beim Bau berücksichtigt werden, was bei einer strikten Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften nur in beschränktem Maße möglich ist. Nur durch die Kompensation der Abweichungen mit technischen Maßnahmen ist dann eine Umsetzung des Gebäudeentwurfs machbar. Der Einsatz einer dynamischen Fluchtweglenkung ermöglicht mehr Handlungsspielraum und Flexibilität bei der Gestaltung eines Gebäudes, was die Praxis schon oft bewiesen hat.
Projektbeispiel: Fußgängertunnel in Altena
Die Stadt Altena plante den Bau eines Fußgängertunnels mit Aufzug als Zugang zur Burg Altena. Das Eingangsbauwerk mit anschließendem Tunnel liegt in der Stadt Altena und wird von einer öffentlichen Verkehrsfläche erschlossen. Bei dem Tunnel handelt sich um einen Stollen von etwa 93 m Länge. Über einen am Ende des Tunnels angeordneten Aufzug gelangen die Besucher zur Burg.
Der Zugang in den Tunnel erfolgt im normalen Betrieb über das vorgelagerte Eingangsbauwerk. Um den Rettungsweg aus dem Tunnel und den Angriffsweg für die Feuerwehr unabhängig vom Eingangsbauwerk herzustellen, wurde ein Bypass vorgesehen. Er befindet sich zwischen Eingangsbauwerk und Tunnel und führt unmittelbar ins Freie. Mit circa 90 Metern Länge überschreitet der Tunnel die zulässige bauordnungsrechtliche Rettungswegelänge von 35 Metern nach § 37 BauO NRW um ungefähr 55 Meter. Damit stellt das bauordnungsrechtliche Schutzziel „Sicherung des Rettungsweges“ die wesentliche Aufgabe für das Bauwerk dar. Außerdem verfügt das Bauwerk über keinen zweiten Rettungsweg, was eine Abweichung von § 17 (3) BauO NRW beinhaltet.
Zur Kompensation dieser Sachverhalte wurden unter anderem der Tunnel mit Brandschutzabschlüssen versehen, der Aufzug als Feuerwehraufzug ausgebildet und eine dynamische Fluchtweglenkung eingesetzt.
Der Tunnel wird durch zwei Brandschutzabschlüsse in drei Abschnitte unterteilt und durch eine Schleuse vom Aufzugsvorraum abgeschottet. Der Feuerwehraufzug ermöglicht der Feuerwehr im Gefahrenfall die Einfahrt in den Tunnel von der Burg aus. Um die Funktionalität des Feuerwehraufzugs zu gewährleisten, wurde für den Aufzugsschacht und dessen Vorraum eine Rauchschutz-Druck-Anlage vorgesehen. Die dynamische Fluchtweglenkung, bestehend aus hochmontierten dynamischen Rettungszeichenleuchten und niedrig montierten dynamischen Richtungspfeilen, zeigt den jeweils zu benutzenden Fluchtweg an. Hierbei wird die Aufmerksamkeit durch eine Blinkfunktion erhöht. Die Ansteuerung der dynamischen Fluchtweglenkung erfolgt über die flächendeckend eingebrachte Brandmeldeanlage.
Für den Fall einer notwendigen Entfluchtung des Tunnels, ohne dass ein Schadensereignis im Eingangsbauwerk vorliegt, werden die Personen durch das Eingangsbauwerk ins Freie geführt.
Sollte im Eingangsbauwerk ein Brand entstehen, schließt sich ein am Tunneleingang positioniertes Brandschutzschiebetor. Die Personen werden durch die Notausgangstür des Bypasses ins Freie geleitet. Kommt es zum Brandfall in einem der drei Brandabschnitte des Tunnels, werden sie auf kürzestem Wege aus dem betroffenen Bereich sowohl über das Eingangsbauwerk oder den Bypass ins Freie als auch durch die Schleuse in den Aufzugsvorraum geleitet. Der Aufzugsvorraum stellt durch die brandschutztechnische Trennung vom Tunnel und die Rauchschutz-Druck-Anlage einen sicheren Bereich dar. Die von der dynamischen Fluchtweglenkung dorthin geleiteten Menschen können dort verharren bis sie von der Feuerwehr über den Aufzug gerettet werden.
Fazit
Ein dynamisches Fluchtwegleitsystem bietet eine bodennahe Orientierungshilfe im Rauch, verhindert die Flucht von Personen in einen verrauchten Bereich hinein und zeigt den sicheren Fluchtweg an. Im Brandfall erhöht es die Sicherheit für Personen und ist als Kompensationsmaßnahme geeignet.
Quellen
- Kempen Krause Hartmann Ingenieurgesellschaft mbH, Düsseldorf: Brandschutzkonzept zum Bauvorhaben „Erlebnisaufzug Burg Altena
- “Technische Regeln für Arbeitsstätten: „Fluchtwege und Notausgänge, Flucht- und Rettungsplan“, ASR A2.3 von August 2007